Zwischen Dramatisierung und Dokumentation
Die Inszenierung Mitläufer von Noam Brusilovsky am Residenztheater in München
Die Vorlesungsreihe „Theater Macht Archive“ geht Verbindungen zwischen Theater und Archiv nach und bietet Zugänge zu den verschiedenen Bezugsebenen an. Sie richtet sich insbesondere an den archivarischen, musealen, künstlerisch-forschenden und Theater-Nachwuchs und schafft Raum zur Vernetzung untereinander. Eine Vorlesungsreihe im Rahmen des BMBF-geförderten Archiv- und Forschungsprojekts „Dramaturgien eines Archivs“ an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Bertolt-Brecht-Archiv. Sprachen: Englisch und Deutsch (siehe jeweilige Ankündigungen).
Anmeldung bitte unter: einladung@hfs-berlin.de
Weitere Termine sind für 2025 in Planung.
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Information zu Barrieren: Die drei ersten Termine der Vorlesungsreihe finden in deutscher Lautsprache via Zoom statt. Bitte teilen Sie uns gern mit, falls Sie zu den Terminen eine Dolmetschung in deutsche Gebärdensprache wünschen.
Zwischen Dramatisierung und Dokumentation: Die Inszenierung Mitläufer von Noam Brusilovsky am Residenztheater in München
Wie erzählt man die NS-Vergangenheit eines Theaters? Welches Verhältnis hatten das Theater als staatliche Institution und seine Akteur*innen zum Regime? Und inwiefern war man sofort Täter*in, wenn man im Dritten Reich am Theater Karriere machte? Diesen Fragen ist die Produktion Mitläufer von Noam Brusilovsky am Residenztheater in München nachgegangen. Co-Autorin Lotta Beckers und Dramaturgin Carolina Heberling berichten über ihre Arbeit an diesem dokumentarischen Prozess. Sie beleuchten dabei Aspekte der Archivrecherche und der Materialauswahl, der Dramatisierung von Archivgut, der szenischen Umsetzung und der Rollenarbeit mit den Schauspieler*innen. Dabei rückt zuerst das Archiv als diskursiver Raum mit seinen je eigenen Lücken in den Blick. Ausgehend von der Idee, dass historische Fakten eine Dramatisierung benötigen, um als Geschichte zu funktionieren, wird dann die dramaturgische Form des Gerichtstheaters reflektiert, die Mitläufer aufruft. Das Archivmaterial nimmt in diesem Prozess einen doppelten Status ein: Einerseits werden Dokumente, Fotos, Tonaufzeichnungen und Videoschnipsel als Beglaubigung von Fakten eingesetzt, andererseits unterliegen sie stets einer künstlerischen Manipulation im Interesse der Inszenierung und ihrer Erzählung. Abschließend wird deshalb die Verantwortlichkeit von dokumentarischem Theater für die historische Korrektheit seiner Erzählungen kritisch diskutiert.
Lotta Paula Mathilda Beckers, geb. 1995, pflegt eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Regisseur Noam Brusilovsky und war als Co-Autorin wesentlich an der Recherche für das Stück Mitläufer beteiligt. Beckers studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Choreografie und Tanz in Kopenhagen und Europäische Medienwissenschaften in Potsdam. Neben den Stückentwicklungen mit Noam Brusilovsky kollaboriert sie regelmäßig als Dramaturgin und Performerin mit der Choreografin Deva Schubert. Ihr Stück Glitch Choir wurde u.a. im Rahmen der Tanztage Berlin und dem Impulstanz Festival Wien gezeigt. Zudem geht Beckers in unterschiedlichen Konstellationen eigenen künstlerischen Recherchen nach und experimentiert in diesem Zusammenhang mit unterschiedlichen Medien. In ihrer Praxis bewegt sie sich fließend zwischen den Bereichen Performance, Theater, Choreografie und Medienkunst.
Carolina Heberling, Jahrgang 1993, wirkte am Projekt Mitläufer als Dramaturgin und wissenschaftliche Beraterin mit. An der LMU München promovierte sie bei Christopher Balme im Sonderforschungsbereich Vigilanzkulturen zur Figur des Intendanten in der Weimarer Republik am Beispiel der Bayerischen Staatstheater. Seit Herbst 2023 ist sie als Postdoc an der Universität Bern beschäftigt, wo sie sich der Erforschung der Fachgeschichte der Theaterwissenschaft in Zeiten des Faschismus widmet.
Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit war sie auch in der Dramaturgie der Münchner Kammerspiele und des Residenztheaters tätig. Dort koordinierte sie die von Kulturinstitutionen ins Leben gerufene Initiative DIE VIELEN und arbeitete künstlerisch unter anderem mit Kevin Barz, Mirjam Loibl und Noam Brusilovsky. Heberling war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und Preisträgerin des 20. Münchner Kurzgeschichtenwettbewerbs. Mit der italienischen Autorin Maddalena Fingerle verbindet sie eine Arbeitsfreundschaft, gemeinsam erhielten sie das deutsch-italienische Literaturstipendium der Heimann-Stiftung.