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Schauspieler Dieter Mann gestorben

Von Verständigung durch Offenheit

Der Schauspieler Christian Grashof studierte von 1962 bis 1964 zusammen mit Dieter Mann an der Staatlichen Schauspielschule, der heutigen Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Im Gespräch mit Alexander Simon (Prof. für Schauspiel an der Hochschule) erinnert sich Grashof an die Zeit mit dem verstorbenen ehemaligen Intendanten des Deutschen Theaters zusammen mit einem legendären Jahrgang und an das gegenseitige Vertrauen auf der Bühne – trotz oder gerade wegen unterschiedlicher Weltansichten.

 

Grashof: Im Vergleich zu anderen Regisseuren und Intendanten hatte Dieter Mann Kontakt zu allen Gewerken und zu allen Abteilungen im Theater – er kannte auch den Pförtner. Somit hatte er Ahnung von unterschiedlichsten Dingen und konnte Probleme sehr schnell lösen. Er wusste vor allem, wie man mit Technik umgeht. Denn er hatte einen technischen Beruf gelernt – Dreher – und da war ihm Handwerk nicht fremd.

Bei all den gegenteiligen Positionen, die ich mit ihm hatte – zu Stücken und auch zur Denkweise, in der Situation der DDR –, hatte ich das Gefühl, dass er die Differenzen ertragen konnte. Ich bin nicht nachteilig behandelt worden. Vielleicht bis auf die Faust-Inszenierung, bei der ganz hart entgegengesetzte Denkweisen aufeinanderprallten.

Dieter war an derselben Schauspielschule wie ich, der heutigen Ernst Busch. Der gemeinsame Unterricht bei Friedo Solter, das war etwas Schönes für mich. Es war ein unglaublicher Spaß, Einfälle zum Schauspiel zu entwickeln. Darüber hatten Dieter und ich eine Art Verstehen, einen Zusammenhalt. Ich hatte ja mit ihm in Tasso gespielt, und selbst wenn ich etwas holpriger war und er manche Dinge besser verstand, konnten wir uns gut verständigen.

Simon: War das in der Zeit, in der er Intendant war?

Grashof: Nein, da noch nicht.

Wir haben uns nicht gegenseitig ‚geschubst‘, weil wir miteinander umgehen konnten. Und so blieb es eigentlich, obwohl wir wirklich unterschiedliche Weltsichten hatten. Trotz einiger kleinerer Rangeleien hinter den Kulissen konnten und wollten wir uns im Großen und Ganzen immer verständigen, was wohl damit zu tun hat, dass wir einen gemeinsamen Lehrer hatten.

Simon: Dieter Mann war Intendant des Deutschen Theaters bis zur Wende?

Grashof: Ja, von 1984 bis 1991. In Berlin war es zu Zeiten der Wende nicht so einfach, denn alles fiel zusammen – und gleichzeitig auseinander. Dieter aber kam als ein politischer Mensch ganz gut damit zurecht, und hielt den Laden kraft seiner Person ganz gut zusammen – ohne irgendwelche Machtansprüche vorzubringen. Sein Tod gibt uns die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was es eigentlich bedeutete, dass das Gefüge aus zwei Deutschlands aufgehört hatte zu existieren. Dieter war mittendrin in dieser angespannten Lebenssituation.

Simon: Am Schauspielhaus in Hamburg hatte ich in der Wendezeit eine merkwürdige ‚Begegnung‘ mit Dieter Mann. Ich war 30–31 Jahre alt und spielte die Rolle des Prospero in Der Sturm, für die ich mich zu jung fühlte. Nach wochenlangen Proben in Verzweiflung fragte ich nach einer Vollmaske und bekam den ‚Kopf‘ von Dieter Mann, in den ich dann geschlüpft bin – ohne ihn zu kennen …

Grashof: Na sag mal!

Simon: … natürlich wusste ich, wer das war und hatte einen wahnsinnigen Respekt! Und ab da liefen die Proben plötzlich sehr gut!

Grashof: Dieter würde ich als jemanden einschätzen, der mit Präzision spielen konnte. Wie bei anderen konnte man bei ihm die Grenzen kennen – da durfte man eben nicht so lange reiben, bis sie aufgebrochen waren. Man muss seine eigenen Grenzen kennen, denn wenn man diese von anderen Personen zu oft aufgezeigt bekommt, kann man sich auch verschließen. Dieter war auf jeden Fall einer, auf den man sich auf der Bühne verlassen konnte.

Man sieht ja Menschen mit zunehmender Lebenserfahrung anders – durch die Brille von Lebensgeschichten. Was ich dann nicht wirklich verstand, war, dass Dieter so weit segelte – ich glaube um Griechenland herum oder noch weiter weg. Er hatte sich das Segeln mit Freunden auf Rügen beigebracht, wo er viel gelebt hatte.

Simon: Und du hast mit ihm in Clavigo gespielt?

Grashof: Ja, genau. Er den Clavigo und ich den Franzosen Beaumarchais. Dann Tasso, und andere Stücke …

Simon: Jürgen Gosch, Alexander Lang, Margit Bendokat, Uta Schorn … Was für ein Wahnsinnsjahrgang!

Grashof: Ja. Eigentlich wurde das Studienjahr von Frauen bestimmt. Und Dieter hatte die Lücke als Mann gefunden.

Simon: Hattest du in jüngster Vergangenheit Kontakt zu ihm?

Grashof: Ich habe es immer versucht, aber es war nicht einfach. Er lebte in einem Heim und war ziemlich abgeschirmt, auch von Angehörigen. Ich habe dann manchmal in Gesprächen erfahren wie es ihm ging. Also, wenn du mir gesagt hättest, er sei beim New-York-City-Marathon mitgelaufen, dann hätte ich das sofort geglaubt, so ein Typ war er. Er war eben ein durchtrainierter Macher, der nicht dem Alkohol erlegen war. Und plötzlich verstand ich nicht: Wieso lässt ihn die Kraft so im Stich? Das habe ich am wenigsten verstanden.

Simon: Blieb er noch am Deutschen Theater, als Langhoff 1991 Intendant wurde?

Grashof: Ja.

Simon: War das merkwürdig?

Grashof: Für Langhoff war gar nichts merkwürdig, er konnte mit allen Situationen umgehen. Und Dieter war da auch ganz pragmatisch. Es gibt eine lustige Geschichte zum Zusammentreffen von Langhoff und Dieter: Für eine Inszenierung sollten tote Möwen organisiert werden, die in eine Kommode gelegt werden sollten. Ein Schauspieler sollte sie dann herausholen. Da sagte Langhoff: „Die Kommode muss voll sein! Es gibt nämlich – hört alle zu! – 673 Arten von Möwen … und Tauben!“ Und Dieter sagte: „Es stimmt nicht ganz. Es sind 692.“ Darauf Langhoff: „Bitte – da hört ihr’s! – 692!“

Simon: (lacht) Wer bietet mehr?

Grashof: Und das ist schon lustig, wie sich zwei solch eigenartige Menschen begegnen.

Bei Dieter fiel mir immer auf, dass er ein Auto hatte, welches er gern fuhr. Und ich glaube, er hatte ein Motorrad.

Simon: Segler, Autofahrer, Motorradfahrer … sehr an der Bewegung interessiert, am Fortkommen.

Grashof: Klar. Und natürlich gab es dann diese ‚Risse‘ – wenn man von der Vollkommenheit der Bewegung absieht – diese Unterschiedlichkeiten in der Weltsicht. Ich stand eben nicht am Segelboot und hatte einen Kompass. Ich hatte mehr Schwierigkeiten. Es waren schon gravierende Unterschiede. Dieter hatte einen anderen Lebenslauf, wahrscheinlich ganz andere Erlebnisse als junger Mensch. Trotz aller Ecken und Kanten – wer hat sie nicht? – war er für mich ein sehr angenehmer Mensch. Und selbst in der Situation als er Kollege und zugleich mein Arbeitgeber war, waren wir sehr offen zueinander, das heißt wir wussten, wo wir uns mögen, und wo wir uns überhaupt nicht mögen, weshalb wir keine negativen Gefühle füreinander entwickeln konnten.

Simon: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Redaktion: Johann Pibert / Foto: Barbara Braun/MuTphoto (Dieter Mann in TOTENTANZ, R: Thomas Langhoff, Berliner Ensemble 2006)

Foto: Barbara Braun/MuTphoto