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Menschen im Archiv

Auf den Spuren von Studierenden der Schauspielschule des Deutschen Theaters

Abb. 1: Direktor Berthold Held an seinem Schreibtisch mit einem Bild von Max Reinhardt, HfS-Archiv F752

Ein Text von Loghan Hawkes

Das neueste Projekt des Archivs der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch macht eine Sammlung von Fotografien und Dokumente aus der Zeit, in der die Schauspielschule noch mit dem Deutschen Theater verbunden war (1905 bis 1951), für die Forschung und Öffentlichkeit zugänglich. Diese Primärquellen bieten einen einzigartigen Einblick in die deutsche Theatergeschichte vor, während und nach den Weltkriegen. 

Obwohl die HfS Ernst Busch erst seit 1981 als Hochschule existiert, reicht ihre Geschichte bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Im Oktober 1905 eröffnete der bekannte Theaterregisseur und -unternehmer Max Reinhardt eine Schauspielschule am Deutschen Theater Berlin, das Anfang des Jahres Teil seines Theaterunternehmens geworden war. Zu dieser Zeit umfasste Reinhardts Netzwerk insgesamt elf Berliner Theater, was sich erst mit der Beschlagnahmung und anschließenden Auflösung seines Unternehmens durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 änderte. Die Schauspielschule überstand jedoch die folgenden Jahre der Diktatur, des Kriegs und der Nachkriegszeit, bis sie 1951 unter der DDR-Regierung zur Staatliche Schauspielschule Berlin wurde. Weitere dreißig Jahre vergingen, bevor die Schule den offiziellen Universitätsstatus erhielt und dem beliebten ostdeutschen Schauspieler Ernst Busch zu Ehren ihren heutigen Namen erhielt. Obwohl jede Epoche in der Geschichte der Schule ihre eigenen faszinierenden Aspekte hat, gilt das Hauptinteresse dieses Beitrags der frühsten Phase, von der Gründung der Schule bis zu ihrer Etablierung als angesehene Bildungseinrichtung in der deutschen Theaterwelt. 

Die Schauspielschule von Max Reinhardt, als Schauspielschule des Deutschen Theaters zu Berlin bekannt, fand in Berthold Held einen ihrer ersten und langjährigsten Schulleiter. Der Jugendfreund Reinhardts hatte sich der Ausbildung junger Theaterkünstler verschrieben, was ihm die Dankbarkeit vieler Schüler*innen einbrachte, die ihm über Jahrzehnte regelmäßig Briefe schrieben. Wie sehr Held die Schule bis zuletzt am Herzen lag, zeigt allein der Umstand, dass er bis zu seiner Erkrankung im Jahr 1931 in seiner Position blieb. In seinem letzten Brief an Reinhardt äußerte er allerdings Sorgen um den Fortbestand der Schule, die ohne ihn mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Er selbst konnte es nicht mehr erleben, aber es hätte ihn sicher gefreut, dass seine Befürchtungen nie wahr wurden: Nicht nur die Schule blieb bestehen, sondern auch ihre Geschichte. Jedes Foto, jede Unterschrift und jede schriftliche Erinnerung im HfS-Archiv sind mit einer Person verbunden, die ihren Teil zu dieser Geschichte beigetragen haben. Deshalb ist es Aufgabe und Ziel unseres Projekts, diese Dokumente nicht nur wieder zum Leben zu erwecken, sondern sie auch lebendig zu halten, indem wir sie der Öffentlichkeit zugänglich machen. 

Abb. 2: Foto mit Brief an Berthold Held von Annemarie Jürgens, HfS-Archiv F584
Abb. 3: Seiten des Jahrgangs 1922/23 aus dem Goldenen Buch, HfS-Archiv D9

Die Sammlung, bestehend aus dem „Goldenen Buch“ der Schauspielschule des Deutschen Theaters sowie Hunderten von Dokumenten und Fotografien, wurde 2023 vom Archivteam entdeckt. Jahrelang lagerte sie unsortiert, verstaubt und fast vergessen im Keller der Hochschule. Der erste Schritt im Prozess der Wiederbelebung bestand darin, all die verlorenen, verstreuten und seit Jahren nicht mehr gelesenen Dokumente wiederzuentdecken, aus dem Keller zu holen und buchstäblich wieder ans Licht zu bringen. Das Goldene Buch war ein wichtiger Fund, weil sich darin Unterschriften von etwa 500 Studierenden befinden, die zwischen 1905 und 1965 die Schauspielschule absolvierten. Neben ihren Namen schrieben viele Schüler*innen auch ihre Gedanken auf und fügten Fotos aus der Zeit ihres Abschlusses bei. Weitere Materialien aus der Sammlung umfassen etwa 600 Fotos von Studierenden, Lehrenden und Unterrichtsszenen, oft auf signierten Postkarten gedruckt, sowie über 350 Seiten mit Programmzetteln von Szenenabenden, Korrespondenzen und Glückwünschen der Schule aus den Jahren 1915 bis 1948. Nachdem die Materialien geborgen waren, wurden sie gereinigt, entsäuert und verpackt. Das Goldene Buch wurde zur Restaurierung an Katharina Lußky geschickt und die Fotos von Krystian Koziol, einem Mitglied unseres Teams, gereinigt. Danach konnten sie digitalisiert, ausgewertet, geordnet und erschlossen werden.

Der Digitalisierungsprozess ist heute ebenso wichtig wie die Gutenberg-Presse einst für Europa; dadurch können Sammlungen nicht nur innerhalb der eigenen Institution, sondern auch für Wissenschaftler*innen, archivarisch interessierte Bürger*innen, neugierige Nachfahr*innen und Theaterfans auf der ganzen Welt zugänglich gemacht werden. Die Digitalisierung wurde von der Firma Bibliocopy übernommen, die zur Staatsbibliothek gehört. Sobald der Prozess abgeschlossen war, machten wir uns daran, Unterschriften und handschriftliche Texte zu transkribieren, um die Personen aus dem Goldenen Buch und der dazugehörigen Fotos zu identifizieren. Da ein Großteil des Materials in Kurrent oder Sütterlin geschrieben ist, war die Entzifferung der Schrift herausfordernd – aber letztlich lohnenswert, da wir Hunderte von ehemaligen Studierenden und Lehrenden identifizieren und erfassen konnten. Dazu gehören auch einige jüdische Absolvent*innen wie die Kabarettistin Alice Droller (Alice Dorell) und der Komiker Otto Maximilian Wasserzug (Otto Wallburg), die in Auschwitz ermordet wurden, sowie Gertrud Kanitz, Martin Kosleck, Isser Katsch (Kurt Katch) und Fritz Feld, die alle in die USA emigrierten und von denen die beiden Letzteren in Hollywood erfolgreich waren. Wir fanden auch Rose Mönnig (Rose Oehmichen), Mitbegründerin der Augsburger Puppenkiste, den iranischen Regisseur Ali Daryabegi, von dem wir heute wissen, dass er 1934 an der Schule studierte, und Friedrich Dürrenmatts erste Frau Lotte Geißler (Lotti Geissler), die von 1939 bis 1940 Schülerin der Schauspielschule war.

Abb. 4: Unterschriften von Ali Daryabegi und Lotte Geißler im Goldenen Buch, HfS-Archiv D9

Neben der Identifizierung von Namen und Bildern ehemaliger Studierender und Lehrender haben wir auch biographische Informationen recherchiert und in die Datenbank museum-digital aufgenommen, die einen Zugang zu Sammlungen, Archiven und deren Vernetzung fördert. Um die Materialien und die darin vertretenen Personen noch sichtbarer und für Interessierte von außen zugänglich zu machen, haben wir außerdem entsprechende Wikipedia-Artikel erstellt und bearbeitet. Wir bemühen uns zwar, jede einzelne Person zu recherchieren, sind aber besonders daran interessiert, die Geschichten von Menschen zu bewahren und zu verbreiten, die immer wieder aus historischen Erzählungen ausgelöscht und vergessen wurden. In einem Wikipedia-Workshop haben wir beispielsweise das WikiProjekt „Frauen in Rot“ kennengelernt, das sich dafür einsetzt, die Namen von Frauen in Wikipedia mit roten Links, die ins Leere führen, in blaue umzuwandeln, die biographische Informationen offen zugänglich machen. Annemarie Jürgens, eine in Argentinien geborene deutsche Schauspielerin, die 1928 die Schauspielschule abschloss, war ein solcher roter Link, der dank unseres Projekts nun sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch blau ist. Weitere Personen, für die im Rahmen des Projekts Wiki-Seiten erstellt wurden, sind die ehemaligen Schüler*innen Willem van Korlaar jr.Ilse BaerwaldEllen NeustädterArnold Neuweiler und Lulu Basler sowie die Lehrer*innen Ellen Neustädter, Carl HeineGyda Christensen und Berthold Held.

Abb. 5: Foto von Arnold Neuweiler in seinem Arbeitszimmer mit Dank an seinen Lehrer, F644

Ich war im Rahmen eines Praktikums im HfS-Archiv an dem Projekt beteiligt und komme aus Pennsylvania in den USA, wo ich Museumswissenschaften studiere. Angesichts meiner Perspektive von außen war es eines meiner Ziele für die Sammlung, eine Verbindung zur englischsprachigen Welt herzustellen, die ohne meine Anwesenheit möglicherweise nicht im Vordergrund gestanden hätte. Ich glaube, dass mir dies in geringem Maße bereits gelungen ist, indem ich englische Datensätze auf museum-digital angelegt, englische Wikipedia-Seiten für einige Absolvent*innen verfasst und bearbeitet habe, deren Leben dort entweder nur lückenhaft oder gar nicht dokumentiert war. Bei der Archivarbeit ist mir besonders wichtig, gerade diejenigen individuellen Geschichten hervorzuheben und zu kontextualisieren, die systematisch ignoriert oder zurückgewiesen wurden. Das Projekt, an dem ich hier gearbeitet habe, tut genau das und geht noch einen Schritt weiter, indem es einer Sammlung, die zuvor im Keller vergraben war, neue Relevanz verleiht. 

Wenn Sie Interesse an den Beständen des HfS-Archivs haben, sich in der Archiv-Arbeit oder beim Verfassen von Wikipedia-Einträgen einbringen möchten, wenden Sie sich gern an:

archiv@hfs-berlin.de

+49(0)30 75 54 17-234