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Gespräch mit Hanna Milovits, Studentin an der SZFE

Als Protest gegen den handstreichartigen Entzug der Autonomie ihrer Universität durch die ungarische Regierung haben die Studierenden der Budapester Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) seit dem 1. September 2020 ihr Hochschulgebäude besetzt. Die Besetzung wurde aufgrund des Lockdowns in Ungarn am 10. November freiwillig durch die Studierenden ausgesetzt, der Protest wird aber digital und auf anderen Wegen fortgeführt.
Zu den Hintergründen der Besetzung und des Protests aus Sicht der Budapester Studierenden haben wir mit Hanna Milovits gesprochen.
Hanna studiert im 5. Semester Kunsttheorie und Kunstvermittlung an der Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE). Sie hat diesen Herbst an der Besetzung der Universität teilgenommen. Als Vertreterin der Studierenden der SZFE wurde sie zu einer Anhörung des Ausschusses für Kultur und Bildung der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel eingeladen.
Die SZFE ist eine Universität der Künste, die drei Institute vereint, eines für Film und Medien, eines für Theaterkunst und eines für Kunsttheorie und Mediation. Die Struktur des Instituts für Theaterkunst ähnelt der Struktur der HfS Ernst Busch.

Das  Gespräch mit Hanna Milovits führte Christian Römer (MASO) für die Studierenden der HfS.

Welche Ereignisse führten zur Besetzung der SZFE durch die Studierenden?

H.M.: Im November 2019 wählte der akademische Senat der SZFE einen neuen Rektor, den ehemaligen Vizerektor László Upor. In Ungarn wählt der akademische Senat den Rektor, sendet seine Entscheidung an das Ministerium, das den Rektor ernennt, das Ernennungsschreiben muss dann vom ungarischen Präsidenten unterzeichnet werden, um wirksam zu sein. Die Universität schickte das Schreiben an das Ministerium, aber weder ernannte das Ministerium den gewählten Rektor, noch sandte es das Ernennungsschreiben an den Präsidenten zur Unterschrift.

Stattdessen wurden die Leiter der nationalen Kunstuniversitäten in Budapest (Film, Theater, Tanz, Bildende Kunst, Musik) Mitte Februar 2020 in das Ministerium für Technologie und Innovation (das auch für Bildung zuständig ist!) eingeladen. Sie wurden darüber informiert, dass die Aufgaben des Ministeriums in Bezug auf die Kunstuniversitäten in Zukunft von einer privaten Stiftung wahrgenommen werden. Es wurde im Vorfeld nicht untersucht, ob diese Umstrukturierung effektiver oder überhaupt notwendig wäre. Die Umstellung auf die neue Struktur sollte am 1. Januar 2021 erfolgen. Eine einzige private Stiftung würde dann für alle Kunstuniversitäten in Budapest zuständig sein.

Nach ersten Diskussionen wurde das Datum der Umwandlung für die SZFE plötzlich auf den 1. September 2020 verschoben. Auch sollte die SZFE nun von einer Stiftung nur für die SZFE verwaltet werden. Das Ministerium beriet sich in diesen Fragen nicht mit der Universität oder den Studierenden.

Wie habt Ihr auf diese Entwicklungen reagiert?

Die Student*innenen schrieben einen öffentlichen Brief, in dem sie forderten, dass der gewählte Rektor vom Ministerium ernannt und die Ernennung vom Präsidenten unterzeichnet wird, wie es das ordnungsgemäße Verfahren vorsah. Darüber hinaus sollte der Termin für die Umwandlung in eine private Stiftung um ein Jahr auf den 1. September 2021 verschoben werden.

Ende Juni 2020 brachte die Regierungspartei ein neues Gesetz zur Debatte und Entscheidung ins Parlament ein, das den Termin für die Umwandlung auf den 1. September 2020 speziell für die SZFE festlegt. Wir organisierten eine Demonstration vor dem Universitätsgebäude und luden auch László Palkovics, den Minister für Innovation und Technologie, ein, mit uns in der Universität über Änderungen dieses Gesetzes zu diskutieren, um die Autonomie der SZFE zu sichern. Der Minister weigerte sich zu kommen, lud aber eine Delegation von zehn Studenten zu einem Besuch im Ministerium ein. Der Direktor des Nationaltheaters Attila Vidnyánszky nahm ebenfalls an dem Treffen teil.

Der Minister hörte sich unsere Forderungen an und weigerte sich, Änderungen an dem neuen Gesetz vorzunehmen. Vidnyánszky gab kein Zeichen, dass er an der Position des Präsidenten des Stiftungsvorstands interessiert wäre. Über den neuen Gesetzentwurf wurde dann im Parlament abgestimmt und er erhielt die Stimmen der Mehrheit der Regierungspartei.

Wie wurde die Leitung dieser neuen Stiftung bestimmt?

Das Ministerium bat die SZFE, Vorschläge für die fünf Vorstandsmitglieder zu unterbreiten, die die private "Stiftung für Theater- und Filmkunst" leiten sollten. Die SZFE legte eine Liste von fünf Personen vor, zusammen mit den Gründen, warum sie sich für diese Aufgabe eignen. Diese Liste wurde auch an den akademischen Senat geschickt. Studierende und Mitarbeiter konnten am offenen Teil der Senatssitzung teilnehmen und sich über den Vorschlag der Universität informieren.

Ende Juni erfuhren wir aus der Presse, wer die neuen Vorstandsmitglieder sein würden, und auch die Universität wurde nur über die Presse informiert. Zwei Geschäftsleute, ein Schauspieler, ein Kameramann und - als Präsident des Stiftungsvorstandes: Attila Vidnyánszky, Direktor des Nationaltheaters und Theater-Multifunktionär im Interesse der Regierung. Keiner der von der Universität vorgeschlagenen Personen war in den Stiftungsvorstand aufgenommen worden.

Daraufhin bat das Ministerium darum, ein Dokument mit der Betriebsordnung und den Gründungsunterlagen des SZFE zur Koordinierung an die Stiftung zu schicken. Die SZFE schickte die Unterlagen am 12. August. Am 27. August, vier Tage vor der bevorstehenden Strukturänderung, berief das Ministerium eine Sitzung mit der Universität ein und übergab ihr ein unterschriebenes Dokument mit einer neuen Fassung des Betriebsreglements.

In dieser neuen Fassung hatte sich unter anderem die Rolle des Senats geändert. Der Senat würde das Recht verlieren, den Rektor zu wählen und die Leiter*innen der künstlerischen Klassen zu ernennen. Der Kanzler, der bereits seit einiger Zeit direkt vom Ministerium ernannt worden war, würde künftig von der Stiftung ernannt werden.

Am 31. August traten auf einer Pressekonferenz an der Universität alle Mitglieder aus dem Senat zurück, darunter die Institutsleiter und alle stellvertretenden Rektoren, einige traten auch als Professoren zurück und verließen die Schule ganz.

An diesem Punkt begann die eigentliche Blockade?

An diesem Tag organisierten wir nach der Pressekonferenz eine Demonstration. Die Demonstration stand kurz vor dem Ende, als wir sie wegen eines großen Sturms abbrechen mussten. Wir dankten den Demonstrierenden für ihr Kommen und baten sie, die Schule zu verlassen. Wir - die Studierenden - gingen in das Gebäude... Um Mitternacht beschlossen wir, die Universität zu besetzen. Einige Studenten wohnten offiziell in dem Gebäude. In den Studentenwohnheimen. Es gab Duschen, Strom und WLAN. Am nächsten Morgen brachten viele Unterstützer von außerhalb Lebensmittel, Schlafsäcke und Kühlschränke mit. Um 15.00 Uhr gaben wir eine Pressekonferenz und stellten unsere schriftlichen Forderungen vor.

Die Forderungen (Auszug)

  1. Wir fordern volle Autonomie für unsere Universität!
  2. Wir lehnen das Umstrukturierungsgesetz in seiner jetzigen Form ab!
  3. Wir lehnen alle willkürlich ernannten Vorsitzenden der Stiftung ab.
  4. Wir fordern wir die Wiederherstellung der Befugnisse des akademischen Senats!
  5. Wir fordern den Rücktritt der derzeitigen Stiftungsratsmitglieder.
  6. Wir fordern, dass die Pflicht zur Verwaltung unserer Universität nicht vom Staat auf irgendeine private Stiftung, auch nicht auf die jetzige, übertragen wird.
  7. Wir fordern den Staat auf, sich nicht vollständig aus der Finanzierung der Universität zurückzuziehen.

Wie habt ihr Euch während der Besetzung organisiert?

Wir hatten beschlossen, das Gebäude zu besetzen, bis unsere Forderungen erfüllt sind. Wir beschlossen auch, dass wir niemanden in das Gebäude lassen werden, der nicht Angehöriger der Universität ist - einschließlich der neu ernannten illegitimen Leiter. In verschiedenen Foren und mit direkter Demokratie haben wir die Besetzung, die Blockade und die Fortsetzung des Unterrichts organisiert. Das Semester sollte beginnen, der Unterricht sollte stattfinden, aber im Rahmen der Besetzung. Das erforderte viele Gespräche, auch mit den Lehrern und Universitätsangestellten, von der Verwaltung bis zum Reinigungspersonal.

In der Zwischenzeit hatte die Stiftung einen neuen Kanzler ernannt, einen ehemaligen Militärfunktionär. Er versuchte, die Schule durch die Hintertür zu betreten, was ihm von den Studierenden verwehrt wurde. Ende September ernannte der Vorstand der Stiftung zwei neue stellvertretende Rektoren, die jedoch nie in der Universität erschienen. Am 1. Oktober verkündeten die Lehrenden und Universitätsangestellten einen Generalstreik.

Der neue Kanzler Gabor Szarka stellte ein Ultimatum: Wenn die Proteste aufhören würden, gäbe es keine Konsequenzen; wenn nicht, würden die Gehälter nicht gezahlt. Die Universitätsangehörigen weigerten sich, die Besetzung bzw. den Streik abzubrechen. Nach unserem Protest und dieser Erklärung zahlte der Kanzler schließlich doch die Gehälter an die Lehrenden und die Universitätsangestellten aus.

Dann überschlugen sich die Ereignisse, kannst Du uns eine Timeline bis heute geben?

Am 13. Oktober ließ der Kanzler das WLAN im Gebäude abschalten und wies das Personal an, die Türen der Seminar- und Proberäume zu verschließen. Ein Schlüssel war nur mit Erlaubnis des Kanzlers erhältlich. Wir besetzten diese Räume dann auch, da es gegen das Gesetz verstößt, Räume zu verschließen, in denen sich noch Studenten oder andere Personen aufhalten.

Am 16. Oktober wurde wegen "vorzeitigen Urlaubs" ein Räumungsbefehl bis 18.00 Uhr desselben Tages erlassen. Wir haben das Gebäude nicht verlassen. An diesem Abend kamen viele Menschen zur Unterstützung in die Schule. Auf der nächsten Pressekonferenz teilten wir mit, dass es illegal sei, die Schülerinnen und Schüler aus ihren Schlafsälen auf die Straße zu setzen, und unser Rechtsbeistand erreichte, dass eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Räumungsbefehls bis zum Abschluss einer Untersuchung aufgeschoben wurde.

Am 23. Oktober schließlich fand die große Demonstration statt. Vom Vorplatz der BME-Universität zum Jahrestag der ungarischen Revolution von 1956 zogen wir über die Donaubrücke in Richtung des Bahnhofs Keleti zur SZFE. Es waren 30.000 Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kontexten anwesend. Die Besetzung und die Demonstration waren für viele der Anlass, ihre Unzufriedenheit mit der Regierung zu artikulieren. Es gab viele Reden, Musik und Solidarität mit anderen gesellschaftlichen Gruppen wie dem Gesundheitsdienst.

Am 27. Oktober folgte die Anhörung bei der EU. Wegen Corona als Online-Videokonferenz. Eingeladen, zum Thema SFZE zu sprechen, waren der gewählte, aber nie ernannte Rektor László Upor, der Präsident der Stiftung Attila Vidnyánszky und ein Vertreter des Ministeriums, den Minister Palkovics an seiner Stelle gesandt hatte - und ich.

Die Tagesordnung ist online. Jeder hat vier Minuten Zeit. Auf dem Bildschirm sieht man die Person, die grade spricht, sich selbst und einen Stream aus dem Sitzungssaal in Brüssel. Danach folgen Fragen der Ausschussmitglieder. Alle blieben in ihren Rollen. Das Ministerium erklärte sich für nicht zuständig und verwies auf die Stiftung, Vidnyánszky beklagte die mangelnde Offenheit der Studierenden für positive Veränderungen durch die „Umstrukturierung“ und für "christliche und nationale Werte", und ich stellte unsere Position und unsere Forderungen vor. Wir hoffen, dass unser Anliegen auch im EU - Parlament auf die Tagesordnung kommen wird.

Wie ist Eure derzeitige Situation? Wie kann man Euch unterstützen?

Am 10. November kam der Lockdown in Ungarn. Dann haben wir das Gebäude geräumt. Die Schule ist jetzt leer. Alles ist verschlossen. Vor dem Gebäude gibt es Sicherheitsleute. Wir halten die Besetzung digital aufrecht. Und unsere Forderungen.

Die neue Leitung und der Stiftungsvorstand sagen, dass unser Herbstsemester ungültig ist und wir nächstes Semester einfach zwei Semester machen sollten. Diese Regelung ist gegen das Gesetz und die Verfassung, deshalb setzen wir unsere Kurse mit unseren Professoren fort und wenden uns an jede mögliche juristische Instanz, um für unser Recht zu kämpfen.

Im Laufe der zweiten Novemberhälfte wurden durch die neue Leitung neue Direktoren für alle drei Institute (Theater, Film und Kunsttheorie) ernannt. Es gibt Gerüchte, dass eine neuer Standort für die Universität gesucht wird.

Für uns ist das Wichtigste, nicht vergessen zu werden. Die Aktionen in Ungarn und anderswo, ob online oder auf der Straße, schärfen das Bewusstsein, jedes Gespräch über unsere Situation, jede veröffentlichte Information, jeder Artikel in der Presse hilft dabei.

Für uns ist die Beziehung zur Öffentlichkeit, zu anderen Gruppen der Gesellschaft zentral. Das war eine wichtige Erkenntnis gerade nach der großen Demonstration am 23. Oktober. Die Menschenketten, die Gemeinsamkeit und die Hilfe der vielen Unterstützenden, die gegenseitige Solidarität haben die Besetzung der SZFE durch die Studenten zu etwas Umfassenderem gemacht. Ein Protest, mit dem sich viele Menschen in Budapest und darüber hinaus identifizieren konnten. Auch daran arbeiten wir weiter.

Mehr Kontext zur Situation um die SZFE findet ihr hier - Stephan Ozsváth berichtet für Deutschlandfunk Kultur Anfang November unter dem Titel: "Studenten wagen Aufstand gegen Orbán" von der aktuellen politischen Lage rund um die Ereignisse an der SZFE und hier auf nachtkritik.de ordnet die Theaterkritikerin Noémi Herczog ( sie unterrichtet seit 2014 selbst an der SZFE ) die Proteste und die Besetzung als Symptom einer größeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Ungarn ein.

Hanna Milovits auf einer gesperrten Bühne