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Prof. Paul Enke im Interview

Paul Enke wurde zum Gastprofessor für Kulturmanagement berufen. Im Interview stellt er sich vor.

Foto: John Hamish Appleby

Paul Enke, Sie kennen die HfS Ernst Busch ziemlich gut. Was verbindet Sie mit der Hochschule?

Die Einsicht, dass das Leben offensichtlich Kreise zieht. Die Hochschule hat mich damals als jungen Schauspieler auf den Weg gebracht. Eine Zeit lang zehrt man noch von den Anekdoten der Schauspielschule, das Studium klebt noch an einem wie eine Klette. Irgendwann hat man sich dann freigespielt und emanzipiert. Freud und Leid des Studiums verschwimmen zu süßer Erinnerung. Heute komme ich mit einem Rucksack voller Eindrücke und mit neuem Handwerkszeug zurück. Es fühlt sich ein wenig so an, wie anderthalb Jahrzehnte auf der Walz gewesen zu sein. Dazu gehört ja auch, nie zu nah an den Ort zurückzukehren, den man hinter sich gelassen hat. Ein weiser Kollege raunte mir einmal zu: „Geh auf keinen Fall zurück nach Berlin, nur um in Berlin zu sein! Nach Berlin wird man gerufen.“ Ich hab mich daran gehalten.

 

Wie war Ihr Weg vom Schauspiel ins Kulturmanagement?

Viele von uns machen ihre Berufe ein Leben lang, wir wurden handwerklich exzellent darauf vorbereitet. Der Name Ernst Busch öffnet viele Türen – ein Leben lang. Denn ein besonderes Qualitätsmerkmal unserer Absolvent*innen ist die Fähigkeit zur kritischen Reflexion ihrer Umwelt und ihrer selbst. Dafür sind wir an den Stadttheatern durchaus auch berüchtigt ... Für mich ganz persönlich bedeutete das aber eines schönen Tages die Einsicht, dass ich meine Entwicklungspotenziale auf der Bühne ausgeschöpft habe. Ich war baff und brauchte eine Weile, bis ich verstand, dass der Schauspieler*innen-Beruf keine absolute Bedeutung für mich hatte. Er war vielmehr ein Vehikel für mein Leben mit dem Theater. Ich habe die Schauspielerei und alle damit verbundene Lebenserfahrung gebraucht, um den nächsten Schritt gehen zu können: Theater und das große Feld der Kulturproduktion von der administrativen Seite kennenzulernen. Und da bei mir erst einmal alles durch den Kopf muss, bevor es sich Bahn bricht, kam ich um ein Masterstudium Kulturmanagement am Institut KMM in Hamburg nicht herum. Und so wie ich als Schauspieler noch im 3. Studienjahr ins erste Engagement nach Weimar ging, habe ich auch als Kulturmanager bereits neben dem Studium den Change-Prozess eines etablierten Thüringer Festivals für Alte Musik gemanagt. Dass das auch mein ganz persönlicher Change-Prozess werden sollte, das wusste ich erst hinterher. Und es wird wohl nicht der letzte gewesen sein.

 

Inwiefern stellt ihre Theaterarbeit weiterhin eine Grundlage für die theoretische und praktische Lehre im Kulturmanagement dar?

Ein gutes Jahrzehnt habe ich an der Opernschule der Weimarer Hochschule für Musik FRANZ LISZT unterrichtet und dort mehrere Studioinszenierungen realisiert. Dieser Quereinstieg ins Musiktheater ging dem Kulturmanagement voraus und führte dazu, dass ich gemeinsam mit einem Dirigenten und Cembalisten meine erste Unternehmergesellschaft für die Produktion von Musiktheater gegründet habe. Solche Unternehmerschaft ist ein ganz anderes Geschäft als das Festivalmanagement. Hier geht es um die Umsetzung der eigenen Vision ohne Netz und doppelten Boden. Das war nicht immer rosig und erfolgreich; manche Schritte würde ich heute ganz anders gehen. Diese geteilte Erfahrung des Erfolgs und des Scheiterns – als Schauspieler, als Lehrer und als Kulturmanager – ist die Substanz für mein Angebot in der Lehre. Das, was heute als unabdingbare Kompetenz gilt – die Erfolgsdeterminanten unserer Ausbildung von heute – kann morgen schon überholt sein. Was dann? Heute arbeite ich noch an meinem Dissertationsprojekt. Wenn es hoffentlich in zwei, drei Jahren fertig ist, kann mich die Praxis längst eingeholt haben. Darauf muss ich vorbereitet sein. Deshalb werde ich nach einer intensiven Zeit der Einarbeitung in die Professur auch bald wieder eigene freie Projekte realisieren. Und es muss gar nicht unbedingt Theater sein. Mein Schwerpunkt als Kulturakteur ist die Verbindung der Kultur- und Lebensräume von Stadt und Land. Das Spannungsfeld zwischen Hoch- und Soziokultur ist mein Zuhause geworden. Gerade möchte ich beispielsweise in meiner Region in Ostthüringen Potenziale bündeln, eine alte Waldbühne mit ca. 500 Plätzen wieder zum Leben zu erwecken. Also doch wieder Theater.

 

Ein Kulturmanager schreibt an einer Dissertation? Steht das nicht im Gegensatz zu einem landläufig eher anwendungsbezogenen Verständnis von Management? Wird jetzt aus dem Künstler und Pragmatiker ein Akademiker?

(lacht) Schließt sich das aus? Eine Dissertation braucht genauso ein gutes Projektmanagement, wie es eine Theaterproduktion braucht. Und ich schreibe unglaublich gerne. Am besten geht das mit einem praxisorientierten Thema, damit man den Bezug zur Realität der Branche nicht verliert. Ich forsche beispielsweise zur Theaterlandschaft direkt vor meiner Haustür und beschäftige mich mit den Potenzialen des Zusammenspiels öffentlicher und freier Theater in Thüringen. Die Kooperationsforschung ist im Kulturbereich längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Strategische Allianzen sind das Schlagwort der Stunde. Die Arbeit daran verschafft mir ein dichtes Netzwerk zwischen den Theaterleitungen und den Akteur*innen der Kulturpolitik. Natürlich hat das eher modellhaften Charakter und die Voraussetzungen für Theater unterscheiden sich zwischen den einzelnen Ländern teils deutlich. Aber Fakt ist: Ein ostdeutscher Flächenstaat wie Thüringen braucht exzellenten künstlerischen Nachwuchs mit Innovations- und Pioniergeist. Dafür müssen wir Voraussetzungen schaffen – im Feld des Theaters selbst und in der Ausbildung.

 

Haben Sie durch das Berufungsverfahren und durch die ersten Gespräche mit Kolleg*innen und Studierenden schon Dinge feststellen können, die sich seit Ihrem Studium an der HfS Ernst Busch geändert haben?

Ha! Das Haus! Alle unter einem Dach! Aber wo ist der Sprelacart geblieben? Man ist enger zusammengerückt und mein erster Eindruck ist, dass es leider auch räumlich enger geworden ist. Aber die Denkräume sind neu, erweitert, offen. Ich habe in meiner eigenen Studienzeit eine bestimmte Widerstandsfähigkeit der Hochschule gegen Einflüsse von außen erlebt. Im Nachhinein betrachtet war das sogar richtig. Hier gibt es eine lange Ausbildungstradition, deren Erfolg es zu bewahren gilt. Doch das Wagnis eines Zentralstandorts, neu entstandene Studiengänge wie die Master Dramaturgie und Spiel und Objekt, die Kooperation mit der staatlichen Ballettschule, die Einrichtung eines Labors für Digitalität, die Besetzung einer Professur für kollektives Arbeiten, die Einrichtung einer Mittelbaustelle für die Integration internationaler Studierender und nicht zuletzt das Projekt der Gastprofessur Kulturmanagement sagen deutlich: Seht her, hier bleibt eine Organisation mutig am Puls der Zeit. Und dabei habe ich sicher noch längst nicht alles erfasst. Es gibt ja auch eine Studierendenschaft, die inzwischen kräftig mitmischt. Erfolgreiche Veränderung braucht immer ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Konservieren und Entwickeln. Das ist ganz sicher kein Selbstläufer. Aber die Kolleg*innen an der HfS packen es einfach an. Ich freue mich sehr darauf!

 

Welche Entwicklungsprozesse sehen Sie am Theater, auf die es die Studierenden für ihren Übergang in die berufliche Praxis auf neue Weise vorzubereiten gilt?

Entwicklungsprozesse gibt es so viele, dass wir uns hier ordentlich verzetteln würden, wenn wir allen gerecht werden wollten. Wichtige Schlagwörter sind sicher: Internationalisierung, Digitalisierung, Audience Development vs. Rechtfertigungsdruck, prekäre Arbeitsverhältnisse, Geschlechter(un)gerechtigkeit, Hierarchien, hegemoniale Kulturpolitik. Verkürzt zugespitzt lässt sich sagen: Das Stadttheater, mit dem wir großgeworden sind, verschwindet gerade vor unseren Augen. Nicht, weil wir nicht gut genug gespielt hätten, auch nicht, weil zu wenig Geld da wäre – ganz im Gegenteil –, es verschwindet, weil es außer uns und unseren Peergroups keiner braucht. Die durchaus kritisch zu hinterfragenden Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung taten ihr übriges – zum Unwissen über uns kommt die Angst vor uns. Sebastian Krämer hat es in einem Songtext längst auf den Punkt gebracht: „Die Welt braucht keine Jongleure / Aber Jongleure brauchen die Welt.“ 50 Prozent der Bevölkerung wissen nicht einmal, dass es so etwas wie Theater gibt, geschweige denn, was es kann. Unsere Aufgabe besteht also wieder einmal darin, die Essenz zu konservieren und das Angebot nach außen deutlich zu entwickeln. Das spielerische Handwerk, das bisher ausgebildet wurde, das gilt auch heute noch. Das ist die Basis. Es wird weiterhin Absolvent*innen geben, die damit Bühnen- und Leinwandkarrieren machen, und es wird diejenigen geben, die mit einem breiten Portfolio neue soziale und neue ästhetische Räume für das Theater besetzen. Manche machen beides – Chapeau!

 

Welche Schwerpunkte werden Sie in Ihrer Gastprofessur setzen?

Ich setze auf Empowerment! Ich glaube daran, dass die Studierenden eine Menge Dinge längst wissen oder intuitiv erahnen. Was sie benötigen, sind Begriffe, um darüber zu sprechen, um Phänomene einordnen und am Ende eben auch verändern zu können. In welcher Form sie das in den unterschiedlichen Studiengängen am besten erreichen, ist meine vordringliche Frage im ersten Semester der Gastprofessur. Es geht ja nicht darum, Kulturmanager*innen auszubilden – sie studieren ganz absichtsvoll nicht BWL. Und dennoch gibt es auch im Kulturmanagement handwerkliche Essentials. Das Ziel ist, dass die Studierenden passende Antworten darauf finden, wie sie ihre Begabungen und Leidenschaften für ein künstlerisches Angebot einsetzen können, das im besten Falle so noch niemand bereithält. Sie sollen verstehen, wie man zu eigenen Ideen steht, wie man sie verwirklicht und finanziert und welche rechtlichen Rahmenbedingungen dafür gelten. Doch auch, wie man eigene Freiräume in abhängiger Beschäftigung gestalten kann. Außerdem möchte ich ihnen Mut machen, Allianzen zu schmieden, Partner und Komplizen für ihre Sache zu gewinnen. Wenn sie das von uns mitnehmen können, müssen sie nicht einige Jahre später wieder die Schulbank drücken, um sich für selbstbestimmte Arbeit im Theaterfeld zusätzlich betriebswirtschaftliches Grundlagenwissen anzueignen. Und schließlich mache ich genau dasselbe: Ich suche innerhalb wie außerhalb der Hochschule Partner*innen und Kompliz*innen, um das Kulturmanagement an der HfS aufzubauen und zu vernetzen. Ich möchte gemeinsam mit den Kolleg*innen ein spezifisches Angebot entwickeln, das dem künstlerischen Kern der Studiengänge Rechnung trägt. Ich werde Fundraising für Drittmittel betreiben und für die Kontinuität des Angebots nach dem Projekt der Gastprofessur sorgen. Fest steht: Das mache ich nicht allein. Und deshalb verstehe ich das Kulturmanagement an der HfS Ernst Busch als einen Raum für das Wissen, die Kompetenzen und die Leidenschaften aller, die daran mitwirken möchten: Willkommen im offenen Workspace Kulturmanagement der HfS!